JurPC Web-Dok. 132/2014 - DOI 10.7328/jurpcb2014298129
Lorenz, Bernd

Bernd Lorenz *

Abmahn- und Verteidigungsstrategien in Filesharing-Fällen

JurPC Web-Dok. 132/2014, Abs. 1 - 33


Der Autor hat in den Jahren 2009 - 2013 rund 700 Filesharing-Fälle bearbeitet. Im Folgenden wird eine statistische Auswertung [0] dieser Filesharing-Fälle vorgenommen und erläutert, welche Strategie die Rechteinhaber bei ihren Filesharing-Abmahnungen verfolgen und wie auf die Abmahnungen der Rechteinhaber reagiert wurde.Abs. 1
I. StatistikAbs. 2
2009 2010 2011 2012 2013 Gesamtzahl 2009-2013
Gesamtzahl der Fälle 73 218 138 188 112 729
Verletztes Werk:
Musik 58,9 % 55,5 % 51,4 % 59,0 % 42,0 % 53,9 %
Filme 27,4 % 37,2 % 39,1 % 36,2 % 48,2 % 38,0 %
- Pornofilme 15,1 % 20,6 % 23,9 % 14,9 % 19,6 % 19,1 %
- Spielfilme 12,3 % 16,5 % 13,8 % 19,7 % 24,1 % 17,6 %
- Fernsehserien 0 % 0 % 1,4 % 1,6 % 4,7 % 1,4 %
Bücher 9,6 % 5,5 % 4,3 % 1,1 % 0,9 % 3,8 %
- Hörbücher 9,6 % 5,5 % 4,3 % 0,8 % 0 % 3,6 %
- E-Books 0 % 0 % 0 % 0,3 % 0,9 % 0,2 %
Software 4,1 % 1,8 % 5,1 % 3,7 % 8,9 % 4,3 %
- Computerspiele 4,1 % 0,9 % 3,6 % 3,2 % 8,0 % 3,4 %
- sonstige Software 0 % 0,9 % 1,4 % 0,5 % 0,9 % 0,8 %
Ursache der Rechtsverletzung:
Anschlussinhaber hat die Rechtsverletzung selber begangen 40,0 % 35,3 % 31,2 % 46,2 % 20,5 % 35,3 %
Ehegatte oder Lebensgefährte hat die Rechtsverletzung begangen 8,2 % 5,5 % 5,8 % 5,3 % 14,3 % 7,1 %
Volljährige Kinder haben die Rechtsverletzung begangen 10,6 % 3,7 % 5,1 % 8,0 % 11,6 % 7,0 %
Minderjährige Kinder haben die Rechtsverletzung begangen 8,2 % 1,8 % 8,0 % 4,3 % 9,8 % 5,5 %
Mitnutzer (Mitbewohner, Nachbarn, Gäste etc.) haben die Rechtsverletzung begangen 4,1 % 4,6 % 2,9 % 1,6 % 1,8 % 3,0 %
ungesichertes WLAN 2,7 % 6,4 % 2,9 % 2,7 % 4,5 % 4,1 %
wahrscheinlich Einbruch in das WLAN aufgrund eines älteren Sicherheitsstandards (WEP, WPA) 4,1 % 12,8 % 10,9 % 4,8 % 13,4 % 9,6 %
Ursache der Rechtsverletzung unklar 20,5 % 27,1 % 32,6 % 27,1 % 24,1 % 27,0 %
Reaktion auf die Abmahnung:
Unterlassungserklärung abgegeben 69,9 % 70,6 % 60,9 % 74,5 % 44,6 % 65,7 %
geforderten Betrag bezahlt 19,2 % 8,3 % 2,2 % 1,6 % 0 % 5,2 %
Vergleich über reduzierten Betrag geschlossen 6,8 % 3,7 % 3,6 % 7,4 % 7,1 % 5,5 %
reduzierten Betrag ohne Vergleich bezahlt 30,1 % 37,6 % 44,2 % 38,3 % 14,3 % 34,7 %
nichts bezahlt 31,5 % 46,8 % 47,1 % 52,1 % 75,0 % 51,0 %
Fortgang des Verfahrens:
einstweilige Verfügung beantragt 0 % 0 % 0 % 0 % 0 % 0 %
zusätzliche Einschaltung eines Inkassobüros 1,4 % 7,8 % 8,0 % 4,3 % 7,1 % 6,2 %
Mahnbescheid beantragt, ohne dass es zu einem Klageverfahren gekommen ist 5,5 % 5,5 % 2,2 % 1,1 % 3,6 % 3,4 %
Klage erhoben 8,2 % 1,4 % 3,6 % 2,1 % 3,6 % 2,9 %
anwaltliche Vertretung der Beklagten vor der Klageerhebung 83,3 % 100 % 80 % 75 % 0 % 71,4 %
Unterlassungsanspruch eingeklagt 0 % 0 % 0 % 0 % 0 % 0 %
Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche eingeklagt 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 %
Obsiegen der Beklagten in den Klageverfahren 52,6 % 58,0 % 37,2 % 44,3 % 42,0 % 46,4 %
II. Die verletzten WerkeAbs. 3
Wie die Statistik zeigt, werden hauptsächlich Musik (53,9 % der Fälle) und Filme (38,0 % der Fälle) abgemahnt.Abs. 4
Internetnutzer laden nach wie vor vielfach Musik in Tauschbörsen herunter. Dabei gibt es zahlreiche legale Alternativen zu den Tauschbörsen. So ist bspw. das Anhören und Aufnehmen von Musik aus dem kostenlosen Internetradio zulässig.[1] Darüber hinaus gibt es Musik-Streaming-Dienste mit kostengünstigen Flatrates. Schließlich gibt es auch kommerzielle Musikportale, wo man einzelne Titel oder ganze Alben kostengünstig kaufen kann.Abs. 5
Unter den Fernsehserien befinden sich ausschließlich Folgen von ausländischen, vorwiegend amerikanischen, Fernsehserien. Vielfach liefen die Folgen zum Zeitpunkt der Abmahnung noch nicht im deutschen Fernsehen. Abmahnungen von deutschen Fernsehserien sind dem Autor bisher nicht vorgelegt worden.Abs. 6
Abmahnungen für Bücher (3,8 % der Fälle) oder Software (4,3 % der Fälle) sind dagegen relativ selten.Abs. 7
III. Die Ursache der Rechtsverletzung und die Reaktion auf die AbmahnungAbs. 8
In nur 35,3 % der Fälle haben die Anschlussinhaber die Rechtsverletzung selber begangen. Der Anschlussinhaber ist folglich lediglich in rund einem Drittel der Fälle selber der Täter der Urheberrechtsverletzung. In diesen Fällen haben die Anschlussinhaber regelmäßig eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben.Abs. 9
In 7,1 % der Fälle haben der Ehegatte bzw. Lebensgefährte und in 7,0 % der Fälle volljährige Kinder die Urheberrechtsverletzung begangen. In 3,0 % der Fälle haben volljährige Personen, denen das Internet zur Mitnutzung überlassen worden war, wie z.B. Mitbewohner, Nachbarn oder Gäste die Urheberrechtsverletzung begangen. Im Hinblick darauf, dass die Rechtsprechung in derartigen Fällen früher teilweise von einer Störerhaftung ausgegangen ist, wurden in älteren Verfahren auch hier teilweise modifizierte Unterlassungserklärungen abgegeben. Die Unterlassungserklärungen wurden teilweise vom Anschlussinhaber selber und teilweise vom Rechtsverletzer abgegeben.Abs. 10
Die Fälle, dass minderjährige Kinder die Urheberrechtsverletzung begangen haben, sind mit 5,5 % relativ gering. Auch in derartigen Fällen wurden teilweise modifizierte Unterlassungserklärungen abgegeben.Abs. 11
In 4,1 % der Fälle lag die Vermutung nahe, dass die Urheberrechtsverletzung durch Dritte aufgrund eines ungesicherten WLANs begangen wurde. In derartigen Fällen wurde regelmäßig eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben. Es ist damit zu rechnen, dass diese Fälle in den nächsten Jahren weiter zurückgehen. Die Telekommunikationsanbieter haben inzwischen auf die Problematik reagiert. Bei neuen Routern ist der Internetanschluss schon seit einiger Zeit standardmäßig durch WPA2 gesichert.Abs. 12
In 9,6 % der Fälle lag die Vermutung nahe, dass ein Einbruch in ein nach einem älteren Sicherheitsstandard gesichertes WLAN vorlag. Die veralteten Sicherheitsstandards WEP und WPA gelten als leicht knackbar.[2] Ein Einbruch in derartige Netzwerke ist in wenigen Minuten möglich. Dafür sind noch nicht einmal Programmier-, Netzwerk- oder Kryptologiekenntnisse erforderlich. Vielmehr gibt es im Internet frei verfügbare Programme, mit denen man das WLAN knacken kann.[3] In derartigen Fällen wurde regelmäßig keine Unterlassungserklärung abgegeben. Es ist damit zu rechnen, dass diese Fälle in den nächsten Jahren weiter zurückgehen. Den WPA2-Standard gibt es nun immerhin schon seit dem Jahre 2004. Ältere Router und Geräte, die den Standard nicht unterstützen, werden in den Haushalten nach und nach durch neue Geräte ersetzt.Abs. 13
In 27,0 % der Fälle konnten die Ursachen der Urheberrechtsverletzung nicht geklärt und der tatsächliche Rechtsverletzer nicht bestimmt werden. Hierunter dürften sich Fälle befinden, in denen die Anschlussinhaber die Rechtsverletzung nicht zugeben wollten wie z.B. bei Pornofilmen. Auch dürften hierzu Fälle zählen, in denen ein falscher Anschlussinhaber ermittelt wurde. Schließlich gibt es einige ungeklärte Fälle, in denen zwar ein Tauschbörsenprogramm installiert war, sich der Nutzer des Programms aber nicht mehr an das konkrete Werk erinnern konnte. In letzteren Fällen wurde teilweise sicherheitshalber eine Unterlassungserklärung abgegeben. Wenn der Tauschbörsennutzer dagegen sicher ausschließen konnte, dass er das abgemahnte Werk getauscht hat, wurde in der Regel auch von der Abgabe einer Unterlassungserklärung abgeraten.Abs. 14
Soweit die Abmahnung als berechtigt eingestuft wurde, wurden regelmäßig modifizierte Unterlassungserklärungen abgegeben. Den Abgemahnten wurde die Zahlung eines reduzierten Betrags angeraten. Dabei wurden die Kosten für die Abmahnung regelmäßig gemäß § 97a Abs. 2 UrhG a.F. bzw. § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG n.F. begrenzt. Weiterhin wurde vielfach kein Schadensersatz in der Form einer fiktiven Lizenzgebühr gezahlt, wenn von einer Störerhaftung des Abgemahnten auszugehen war oder wenn keine Kenntnis vom automatischen Upload bestand.Abs. 15
IV. Die Strategie der RechteinhaberAbs. 16
Wie die Statistik zeigt, sind die Gerichtsverfahren wegen der Teilnahme an Tauschbörsen außerordentlich selten. Das gilt jedenfalls dann, wenn der angebliche Rechtsverletzer frühzeitig einen spezialisierten Rechtsanwalt beauftragt. In diesem Fall liegt die Wahrscheinlichkeit verklagt zu werden unter 3 %. Bei den Fällen, in denen Klagen erhoben wurden, waren die Abgemahnten in 28,6 % der Fälle außergerichtlich nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten. Sie hatten zunächst selber an die abmahnende Kanzlei geschrieben oder gar nicht auf die Abmahnung reagiert. Erst nach Zustellung der Klageschrift bzw. des Mahnbescheids bzw. der Anspruchsbegründung haben die Abgemahnten einen Anwalt konsultiert. Das zeigt, dass sich die Rechteinhaber auch gerne schwache Gegner aussuchen, die sie verklagen. Wahrscheinlich gehen sie davon aus, dass sie bei Gegnern, die anwaltlich nicht vertreten sind, leichtes Spiel haben. Wenn ein spezialisierter Rechtsanwalt auf die Abmahnung reagiert, ist die Wahrscheinlichkeit verklagt zu werden, eher gering.Abs. 17
Die Strategie der Rechteinhaber geht dahin, die angeblichen Rechtsverletzer möglichst weit unter Druck zu setzen. Dazu werden regelmäßig seitenlange Schreiben verfasst, in denen eine Vielzahl von Urteilen zitiert wird. Oft wird auch seitenlang wörtlich aus Urteilen zitiert. Auch setzen sich die Abmahnkanzleien vielfach mit den vorgebrachten Einwendungen nicht individuell auseinander, sondern antworten nur mit seitenlangen Textbausteinen. Dass diese Schreiben nur eine einseitige Darstellung der Sach- und Rechtslage beinhalten, versteht sich von selbst. Urteile, in denen die Rechteinhaber verloren haben, werden natürlich nicht angeführt. Das AG Düsseldorf hat dazu entschieden, dass das Verschweigen von wichtigen obergerichtlichen Entscheidungen zugunsten der Betroffenen und das Aufzeigen einer ausweglosen Situation den Straftatbestand des Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB erfüllen.[4]Abs. 18
Regelmäßig wird der Eindruck erweckt, dass jeder Widerspruch zwecklos ist und nur zu einem kostenträchtigen Gerichtsverfahren führt. Dabei sollte in der Vergangenheit vor allen Dingen der Hinweis auf die für Privatpersonen horrenden Streitwerte von 10.000,00 € pro Musiktitel bzw. 10.000,00 € - 30.000,00 € pro Film bzw. 100.000,00 € pro Musikalbum den Widerstand der angeblichen Rechtsverletzer brechen. Dieses Argument ist nun durch den neuen § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG weggefallen. Bei Abmahnungen gegenüber Verbrauchern ist der Gegenstandswert für den Unterlassungsanspruch nunmehr auf 1.000,00 € begrenzt.Abs. 19
Die Lage ist für die angeblichen Rechtsverletzer gar nicht so aussichtslos, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag: Nach dem BGH haftet der Anschlussinhaber nicht für Urheberrechtsverletzungen von volljährigen Familienangehörigen, solange er keine Kenntnis von den Rechtsverletzungen hat.[5] Bei minderjährigen Kindern besteht eine Haftung nach dem BGH nur dann, wenn die Kinder nicht hinreichend belehrt worden sind.[6] Minderjährige Kinder müssen vor der Überlassung des Internetanschlusses dahingehend belehrt werden, dass sie keine urheberrechtlich geschützten Werke in Tauschbörsen herunterladen und wieder öffentlich zugänglich machen dürfen. Der Anschlussinhaber haftet nach dem BGH grundsätzlich auch nicht, wenn bei einem mit einem individuellen Passwort gesicherten WLAN Dritte in sein WLAN einbrechen. Ausreichend ist es dabei, die zum Zeitpunkt des Kaufes des Routers marktüblichen Sicherungen zu verwenden.[7] Wenn der Anschlussinhaber als Störer haftet, schuldet er nur Unterlassung, aber keinen Schadensersatz.[8] Wer keine Kenntnis von der öffentlichen Zugänglichmachung hatte, schuldet unter Umständen keinen Schadensersatz für den automatischen Upload der Dateien.[9] Schließlich dürfen die Kosten für eine berechtigte Abmahnung gemäß § 97a Abs. 2 UrhG a.F. unter bestimmten Voraussetzungen nur 100,00 € betragen,[10] nach § 97a Abs. 3 S. 2 UrhG n.F. nur 147,56 €, bei Vorsteuerabzugsmöglichkeit des Rechteinhabers sogar nur 124,00 €.Abs. 20
Gelegentlich werden auch zusätzlich Inkassobüros eingeschaltet (6,2 % der Fälle), um den Druck noch weiter zu erhöhen. Die Einschaltung von Inkassobüros erfolgt vorwiegend bei Pornofilmen. Die Schreiben der Inkassobüros beinhalten regelmäßig nur reine Zahlungsaufforderungen. Eine Auseinandersetzung mit der Sach- und Rechtslage finden in der Regel gar nicht statt. Individuelle Einwendungen werden regelmäßig überhaupt nicht beantwortet. Man muss sich die Frage stellen, was es für einen Sinn macht, ein Inkassobüro zusätzlich zu einem Rechtsanwalt zu beauftragen. Obwohl bereits die Abmahnung eines Rechtsanwalts erfolglos war, wird anschließend noch ein Inkassobüro eingeschaltet. Zum einen hat das Inkassobüro die Möglichkeit den angeblichen Rechtsverletzer direkt unter Umgehung seines Rechtsanwalts anzuschreiben. Die Vorschrift des § 12 Abs. 1 BerufsO gilt nur für Rechtsanwälte. Danach darf ein Rechtsanwalt den Gegner nicht unter Umgehung seines Rechtsanwalts direkt anschreiben. Einem Inkassobüro ist es aber gestattet, den gegnerischen Rechtsanwalt zu umgehen. Zum anderen drohen die Inkassobüros gerne Schufa-Einträge an. Es erfolgt in ihren Schreiben vielfach der Hinweis, dass für unbestrittene Forderungen ein Schufa-Eintrag erfolgt. Obwohl bereits vorher gegenüber dem Rechtsanwalt des Rechteinhabers angezeigt wurde, dass die Ansprüche streitig sind, wird später dann durch das Inkassobüro noch ein Schufa-Eintrag angedroht. Androhungen von Schufa-Einträgen für bereits bestrittene Forderungen sind – wie sich aus § 28a Abs. 1 S. 1 Nr. 4 lit. d BDSG ergibt – rechtswidrig.[11] Die Inkassobüros versenden jedoch regelmäßig Zahlungsaufforderungen mit denselben Textbausteinen, ohne im Einzelfall zu differenzieren, ob die Forderung streitig ist und welche Einwendungen vorgebracht wurden.Abs. 21
Gelegentlich werden auch einfach Mahnbescheide versandt, ohne dass es jedoch zu einem Klageverfahren kommt (3,4 % der Fälle). Ein Mahnbescheid ist einfach und schnell mit einem Vordruck bzw. dem Online-Mahnantrag beantragt. Eine Prüfung des Anspruchs durch das Mahngericht findet nicht statt. Der Mahnbescheid soll die Ankündigung der Rechteinhaber untermauern, dass nun das Klageverfahren eingeleitet wird. Tatsächlich kommt es dann jedoch vielfach nicht zu einem Klageverfahren. Nach Einlegung des Widerspruchs wird dem Verfahren kein Fortgang mehr gegeben.Abs. 22
Regelmäßig wird auch auf die strafrechtlichen Folgen verwiesen. Es ist durchaus richtig, dass die Teilnahme an Tauschbörsen gemäß § 106 UrhG strafbar ist, wenn urheberrechtlich geschützte Werke getauscht werden. Die Strafverfahren werden jedoch in der Regel sofort eingestellt. Verschiedene Staatsanwaltschaften haben schon vor einigen Jahren beschlossen nur noch große Fälle zu verfolgen.[12] Die Staatsanwaltschaften sind jahrelang von den Rechteinhaber benutzt worden, nur um die Anschlussinhaber zu ermitteln. In Wirklichkeit dürfte es den Rechteinhabern gar nicht um die Strafverfolgung gegangen sein. Vielmehr ging es ihnen um die Ermittlung der Namen und Anschriften der Anschlussinhaber durch die Staatsanwaltschaften, um den Anschlussinhabern eine Abmahnung übersenden zu können. Die Staatsanwaltschaften wurden mit Anzeigen für Bagatellverstöße überschüttet, was sich die Staatsanwaltschaften nicht länger gefallen lassen wollten. Aufgrund des im Jahre 2008 eingeführten Auskunftsanspruchs nach § 101 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 9 S. 1 UrhG haben die Rechteinhaber seitdem die Möglichkeit, die Namen und Anschriften der Anschlussinhaber im Wege eines Zivilverfahrens in Erfahrung zu bringen.Abs. 23
Die Strategie der Rechteinhaber geht folglich dahin, die angeblichen Rechtsverletzer möglichst stark unter Druck zu setzen, um sie so zu freiwilligen Zahlungen zu bewegen. Die Zahl der Gerichtsverfahren ist demgegenüber verschwindend gering. Die Statistik zeigt auch, dass inzwischen reihenweise Fälle verjährt sind. Fälle aus den Jahren 2009 und 2010 sind bereits verjährt. Für die Verjährung des Unterlassungs- und Schadensersatzanspruchs gilt gemäß § 102 S. 1 UrhG, § 195 BGB eine Frist von drei Jahren.[13] Die Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB am Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Maßgeblich kommt es damit darauf an, wann der Rechteinhaber Kenntnis von dem Namen und der Anschrift des Anschlussinhabers erlangt hat. Mit der Kenntnis von der Person des Anschlussinhabers beginnt die Verjährungsfrist gegenüber dem Anschlussinhaber zu laufen.Abs. 24
Weiterhin auffallend ist, dass keine einzige einstweilige Verfügung beantragt wurde. Ferner ist in keinem einzigen gerichtlichen Verfahren der Unterlassungsanspruch eingeklagt worden. Letzteres hängt damit zusammen, dass in 85,7 % der Gerichtsverfahren die Abgemahnten bereits nach der Abmahnung eine Unterlassungserklärung abgegeben hatten. In diesen Fällen brauchte dann nur noch über die Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche entschieden zu werden. Nicht nachvollziehbar ist, dass in den verbleibenden Fällen nicht auch der Unterlassungsanspruch eingeklagt wurde. In der Rechtsprechung und Literatur wird die zutreffende Auffassung vertreten, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten besteht, wenn der Unterlassungsanspruch nicht eingeklagt wird, obwohl keine Unterlassungserklärung abgegeben wurde. Ein Kostenerstattungsanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 683 S. 1, 677, 670 BGB besteht in solchen Fällen regelmäßig nicht.[14] Wenn der Unterlassungsanspruch nicht eingeklagt wird, erfolgten die Aufwendungen für die Abmahnung nicht im Interesse und mit dem mutmaßlichen Willen des Rechtsverletzers. Auch aus § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG a.F. bzw. § 97a Abs. 3 S. 1 UrhG n.F. ergibt sich regelmäßig kein Kostenerstattungsanspruch.[15] Wenn der Unterlassungsanspruch nicht eingeklagt wird, war die Abmahnung nicht berechtigt. Den Rechteinhabern und ihren Anwälten geht es dann nämlich nur darum, die Abgemahnten mit Kostenerstattungs- und Schadensersatzansprüchen zu überziehen. Das Unterbinden zukünftiger Urheberrechtsverletzungen ist für sie nebensächlich. Droht jedoch gar kein Unterlassungsprozess, kann die Abmahnung diesen auch nicht vermeiden helfen. Ein Kostenerstattungsanspruch für die außergerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs kommt dann nicht in Betracht.Abs. 25
Die wenigen gerichtlichen Verfahren, die überhaupt geführt werden, sind in der Vergangenheit vielfach günstig für die Rechteinhaber ausgegangen. Erfasst wurde die prozentuale Erfolgsquote der Beklagten in den Klageverfahren, die sich im Durchschnitt auf 46,4 % beläuft. Obsiegen und Unterliegen der Beklagten halten sich in den Klageverfahren in etwa die Waage. Dieses mittelmäßige Ergebnis hängt damit zusammen, dass es viele Urteile in der älteren Rechtsprechung gibt, wonach der Anschlussinhaber quasi für alle möglichen Ursachen der Rechtsverletzung haften soll. Außerdem wurden die meisten Beklagten in München verklagt. In München herrscht eine ausgesprochen Rechteinhaber-freundliche Rechtsprechung. Aufgrund der Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes durch § 104a Abs. 1 S. 1 UrhG sind die Abgemahnten nunmehr bei dem Gericht zu verklagen, in dessen Bezirk sie ihren Wohnsitz haben. Aufgrund der neueren Rechtsprechung und der Abschaffung des fliegenden Gerichtsstandes haben sich die Erfolgsaussichten der Abgemahnten in den Gerichtsverfahren deutlich verbessert.Abs. 26
V. FazitAbs. 27
Die Anschlussinhaber sollten sich durch eine Abmahnung nicht unter Druck setzen lassen, insbesondere dann nicht, wenn sie die Urheberrechtsverletzung selber nicht begangen haben. In der neueren Rechtsprechung finden sich zahlreiche Urteile zugunsten der Anschlussinhaber. Insofern ist erfreulicherweise eine Kehrtwende in der Rechtsprechung eingetreten. Die frühere uferlose Haftung der Anschlussinhaber wird durch zahlreiche neuere Entscheidungen eingeschränkt. Nach der zutreffenden neueren Rechtsprechung haftet der Anschlussinhaber nurAbs. 28
· für eigene Urheberrechtsverletzungen oder Abs. 29
· wenn er Kenntnis davon hat, dass Mitnutzer seines Internetanschlusses über diesen Urheberrechtsverletzungen begehen und er diese nicht unterbindet oderAbs. 30
· wenn er minderjährige Kinder vor der Überlassung des Internetzugangs nicht hinreichend belehrt, dass sie in Tauschbörsen keine urheberrechtlich geschützten Werke tauschen dürfen oderAbs. 31
· wenn er sein WLAN nicht ausreichend gegen den Zugriff von fremden Personen sichert.Abs. 32
Personen, die eine Abmahnung wegen Filesharing erhalten haben, sollten sich durch einen spezialisierten Rechtsanwalt beraten lassen. Die frühzeitige Reaktion auf die Abmahnung durch einen fachkundigen Rechtsanwalt minimiert die Gefahr eines späteren Gerichtsverfahrens deutlich.Abs. 33
 

 

Fußnoten

* Dr. Bernd Lorenz ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für IT-Recht, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz bei Schulz Tegtmeyer Sozien (URL: http://www.st-sozien.de) in Essen.
[0] Die Statistik hat den Stand Juli 2014.
[1] Z.B. Surfmusik, URL: http://www.surfmusik.de; zur Legalität der Nutzung von Internetradios: Lorenz RdJB 2005, 43 [51], URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/RdJB_2005_43.pdf; Lorenz RdJB 2008, 312 [319], URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/RdJB_2008_312.pdf; Lorenz VuR 2011, 417 [419], URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/VuR_2011_417.pdf.
[2] Barnes, Die Hacker-Bibel: Wireless LANs, 2002, S. 196 ff., 293 ff.; Beck/Tews, in: Basin/Capkun/Lee, Proceedings of the second ACM conference on Wireless network security, 2009, S. 79 ff. URL: http://dl.aircrack-ng.org/breakingwepandwpa.pdf; Cache/Wright/Liu, Hacking Wireless Exposed, 2. Aufl. 2010, S. 88 ff.; Eckert, IT-Sicherheit, 8. Aufl. 2013, S. 900 ff.; Edney/Arbaugh, Real 802.11 Security, 2003, S. 322 ff.; Tews/Klein, Attacks on Wireless LANs, 2008, S. 29 ff.; Tews/Weinmann/Pyshkin, in: Kim/Yung/Lee: Information Security Applications, 2007, S. 188 ff.
[3] Z.B. Aircrack-ng, URL: http://www.aircrack-ng.org; Kismet, URL: http://www.kismetwireless.net.
[4] AG Düsseldorf, Urteil vom 08.10.2013 – 57 C 6993/13, JurPC Web-Dok. 82/2014 Abs. 14, URL: http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20140082.
[5] BGH, Urteil 08.01.2014 – I ZR 169/12, JurPC Web-Dok. 97/2014, URL: http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20140097.
[6] BGH, Urteil vom 15.11.2012 – I ZR 74/12, JurPC Web-Dok. 67/2013 Abs. 16 ff., URL: http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20130067.
[7] BGH, Urteil vom 12.05.2010 – I ZR 121/08, JurPC Web-Dok. 114/2010 Abs. 24, URL: http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20100114.
[8] BGH, Urteil vom 12.05.2010 – I ZR 121/08, JurPC Web-Dok. 114/2010 Abs. 18, URL: http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20100114.
[9] Lorenz VuR 2011, 417, URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/VuR_2011_417.pdf; a.A. LG München I, Endurteil vom 08.05.2013 – 21 S 18455/12; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 13.01.2011 – 2-03 O 340/10, JurPC Web-Dok.
146/2011, S. 11, URL: http://www.jurpc.de/rechtspr/20110146.htm; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 22.07.2010 – 2-03 O 83/10, S. 13.
[10] Vgl. Albrecht/Hatz JurPC Web-Dok. 124/2011 Abs. 22 ff., URL: http://www.jurpc.de/aufsatz/20110124.htm; Buchmann/Brüggemann K&R 2011, 368 [371 f.]; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 4. Aufl. 2013, § 97a Rn. 14 ff.; Ebke CR 2009, 687, 688 f.; Ewert/v. Hartz MMR 2009, 84; Faustmann/Ramsperger MMR 2010, 662; Hoeren CR 2009, 378; Lutz VuR 2010, 337 [344 f.]; Malkus MMR 2010, 382; Mestmäcker/Schulze/Backhaus, Kommentar zum deutschen Urheberrecht, 55. Ergl. 9/2011, § 97a UrhG Rn. 80 ff.; Solmecke/Kost K&R 2009, 772 [773 f.]; Weidert AnwBl 2008, 529, 530 f.
[11] OLG Celle, Urteil vom 19.12.2013 – 13 U 64/13, JurPC Web-Dok. 41/2014, URL: http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20140041.
[12] FAZ vom 04.12.2007, S. T1; von Gehlen, jetzt.de vom 31.03.2008, URL: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/426924; Lorenz RdJB 2008, 312 [318], URL: http://www.st-sozien.de/fileadmin/user_upload/veroeffentlichungen/Lorenz/RdJB_2008_312.pdf; Spilcker, FOCUS 32/2008, 28; WZ Newsline vom 07.08.2008, URL: http://www.wz-newsline.de/index.php?redid=281214.
[13] LG Frankfurt a.M. Urteil vom 13.01.2011 – 2-03 O 340/10, JurPC Web-Dok. 146/2011 S. 12, URL: http://www.jurpc.de/rechtspr/20110146.htm.
[14] LG Düsseldorf, Urteil vom 19.01.2011 – 23 S 359/09, NRWE Rn. 39 ff., URL: http://www.justiz.nrw.de/nrwe/lgs/duesseldorf/lg_duesseldorf/j2011/23_S_359_09urteil20110119.html; LG Frankfurt, Urteil vom 24.05.2002 – 3-12 O 31/02, NJW-RR 2003, 547; AG Hamburg, Urteil vom 20.12.2013 – 36a C 134/13, juris Rn. 30 ff; Schröder, MMR 2011, 328; vgl. dazu auch Pastor WRP 1979, 423 [425]; Schulte GRUR 1980, 470 [471]; a.A. Steinmetz, Der „kleine" Wettbewerbsprozeß, 1993, S. 78 f.; vgl. zur a.A. auch Schulz WRP 1990, 658 [660 f.].
[15] AG Hamburg, Urteil vom 20.12.2013 – 36a C 134/13, juris Rn. 30 ff; Schröder, MMR 2011, 328; so auch zu § 12 Abs. 1 S. 2 UWG Gloy/Loschelder/Gloy, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 3. Aufl. 2005, § 75 Rn. 36; vermittelnd Wandtke/Bullinger/Kefferpütz, Praxiskommentar zum Urheberrecht, 3. Aufl. 2009, § 97a Rn. 33.
 

 
(online seit: 19.08.2014)
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
 
Zitiervorschlag: Lorenz, Bernd, Abmahn- und Verteidigungsstrategien in Filesharing-Fällen - JurPC-Web-Dok. 0132/2014